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Molière mit anarchistischem Schmäh in Enns
Die Dramaturgin Iris Harter im Interview
DramaturgInnen. Kaum jemand kennt ihre Namen, dabei sind sie essentieller Teil (fast) jeder Theaterproduktion. Stellvertretend für diesen Berufsstand holt der OÖ. Kultursommer-Blog Iris Harter vor den Vorhang. Sie ist die Dramaturgin des Theaters im Hof in Enns. Seit 9. Juli wird dort „Madame Jourdain und ihre wundersame Reise in die gute Gesellschaft“ gespielt. Ein Stück, das auf Moulières „Der Bürger als Edelmann“ basiert.
Iris Harter, was erwartet das Publikum im heurigen OÖ. Kultursommer im Theater im Hof?
Eine Komödie mit viel stilechter französischer Musik, mit anarchistischem Schmäh und Witz, mit einer starken Ästhetik auf der Bühne, mit Perücken (lacht), mit Augenzwinkern und mit einer Geschichte, die hoffentlich unterhaltsam ist und im besten Fall einen kleinen Nachdenkstachel hinterlässt.
Der Spielort ist auch heuer wieder ein Innenhof mitten in Enns. Was macht für Sie diese Spielstätte so besonders?
Ich würde sagen, es ist diese gewisse Privatheit, die dieser Ort ausstrahlt. Diese familiäre Atmosphäre entsteht wohl dadurch, dass es sich um einen privaten Innenhof handelt. Es steht in der Mitte ein Birnbaum und es gibt wilden Wein und wenn man reinkommt, dann summen und surren die Bienen. Da entsteht auch ganz automatisch eine sommerliche Stimmung. Und was die Bühne betrifft - die wird jedes Jahr anders gemacht und gedacht. Heuer ähnelt sie erstmals (coronabedingt, aber gut) einer Art Ufo, mit einer Schrägstellung. Das ist sehr speziell, weil so ein hermetischer Raum dadurch entsteht.
Iris Harter
Foto (c) Barbara Jurowski
„Madame Jourdain und ihre wundersame Reise in die gute Gesellschaft“ wird noch bis 7. August an vier bis fünf Tagen pro Woche gespielt. http://www.theater-im-hof.at
Und auf dieser schrägen Bühne wird Moulières Stück „Der Bürger als Edelmann“ gespielt. Allerdings anders als im Original, nämlich in einer starken Iris Harter-Bearbeitung. Was genau haben Sie mit dem französischen Klassiker gemacht?
Im Original geht es um einen Parade-Bürger, der unbedingt berühmt werden will und den Molière am Ende der Lächerlichkeit preisgibt. Ich fand das ein spannendes Thema - ein Mensch, der unbedingt ein Ziel erreichen möchte und auch die Mittel zur Verfügung hat, also in diesem Fall das Geld, und dabei eigentlich, zumindest metaphorisch, bereit ist, über Leichen zu gehen. Diesen Stoff und die Art und Weise, wie Witze gebaut sind, das hab ich übernommen von Molières Stück und wage die Geschichte als roten Faden. Molières Theater hat mit vielen Anspielungen gearbeitet und das Publikum hat das nicht nur vertragen sondern sogar erwartet. Ich habe das ins Heute geholt und etwas Handgenähtes, etwas Maßgeschneidertes für das Theater im Hof daraus gemacht.
Und nicht nur ins Heute geholt, sondern auch aus der männlichen Hauptrolle eine große Frauenrolle gemacht.
Ja, das war im Zusammenhang mit der Stückgenese besonders reizvoll - eine große oder eigentlich mehrere, ambivalente Frauenrollen zu schreiben. Da haben die Klassiker ja zuweilen ausgelassen. Und Molières Jourdain ist heute im Geschlecht auf jeden Fall austauschbar.
Wie genau muss man sich deinen Schreibprozess vorstellen?
Meine Art der Textentwicklung ähnelt dem zum Beispiel in Belgien verbreiteten Konzept des „Author on the floor“. Der Autor ist also beim gesamten Prozess dabei. Ich leite ja gemeinsam mit dem Regisseur und Schauspieler Christian Himmelbauer den Vorstand des Trägervereins des Theaters im Hof und habe das Stück schon wissend, wie die Produktionsbedingungen aussehen werden, geschrieben. Ich wusste also bereits in etwa, wie das Ensemble aussehen wird und welche Funktion die Musik haben wird.
Und die Musik spielt heuer eine ganz besonders große Rolle…
Unsere Marke ist ja das Schauspiel mit Musik, dieses Konzept verfolgen wir seit 2016, seit wir im Hof sind. Die Musik hat bei Madame Jourdain auch wirklich eine handlungstreibende Funktion. Und ja, auch die finanziellen Möglichkeiten beachte ich bereits im Schreibprozess.
Das Schreiben der Stücke ist ja nicht vordergründig die Arbeit der/des DramaturgIn, aber es gibt wohl kaum eine schwierigere Aufgabe, als das Tätigkeitsfeld genau abzustecken.
Im Feld der Dramaturgie sind die Grenzen sehr fließend. Ich selbst sehe mich unter anderem als diplomatische Vermittlerin zwischen Publikum und künstlerischem Team. Und die Nähe zu Texten, zu Inhalten, zu Recherchen - die ist sicherlich typisch für die Dramaturgie. Aber das Feld ist so schwer zu beschreiben. Ich bin im Moment auch am Next Liberty in Graz (Kinder- und Jugendtheater, Anm.) tätig, da ist die Arbeit wieder ganz anders als in der freien Szene in Wien oder hier in Enns. Auch deshalb habe ich mich für die Dramaturgie entschieden, weil man in so unterschiedliche Kontexte Einblick bekommt und die Arbeitsbereiche so mannigfaltig sind.
Datum: 10. Juli 2021 / Text: Michaela Ogris-Grininger / Fotos: Porträt Iris Harter, Foto: Barbara Jurowski; Blick in den Innenhof, Foto: Christoph Huemer; Szenenfotos „Madame Jourdain und ihre wundersame Reise in die gute Gesellschaft“, Fotos: Theater im Hof, Otto Pölzl