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Festspiele Schloss Tillysburg
Das Prinzip und der Krampus
„Wenn Ihr aber zum alkoholfreien Wein, zur nikotinfreien Zigarre und zum koffeinfreien Kaffee auch noch den menschenfreien Menschen entwickelt habt, dann hurra, man stirbt vor Langeweile!“ Thomas Kreger
Seit 1. Juli und noch bis 15. August zeigen die Festspiele Schloss Tillysburg diese Fassung zweier kaum gespielter Theaterstücke des großen oberösterreichischen Autors Hermann Bahr.
Hier prallen zwei Lebensentwürfe aufeinander – da steht auf der einen Seite das von Idealismus und Vernunft getragene Ehepaar Dr. Friedrich und Gertrude Esch, das frappant tagesaktuell seine Kinder mit dem Glauben an sich selbst und ihre innersten Wünsche als Kompass für die Richtung ihres Lebens groß werden lässt.
Auf der anderen Seite ist da Gertrudes Onkel Kreger, ein hedonistischer und reaktionärer Geist, der die Laster der Menschheit zur eigentlichen Essenz des Mensch-Seins erhebt.
Das Stück „Das Prinzip und der Krampus“ ist auf zwei verschiedenen Stücken Hermann Bahrs (1863 – 1934) aufgebaut. Tillysburg-Intendant Nikolaus Büchel hat die beiden Werke verkürzt und verflochten, Lisa Wildmann, im Stück eine herrlich verschrobene Gräfin Aggern, führt Regie.Beide Werke waren bis dato kaum bekannt und kaum gespielt. Gut, dass sich das jetzt geändert hat. Hier finden sich Hermann Bahrs Gedanken über Erziehung und die Rolle des Menschen in dieser Welt wieder: Sie sind fast erschreckend tagesaktuell. Unbedingte Empfehlung ist der Kauf des Programmheftes, in dem Bahrs Gedanken über die Kindheit, über die Rolle, die wir als Menschen einnehmen sollen/müssen/wollen niedergeschrieben sind. Haben Kinder einem von außen für sie vorgegebenen Plan zu folgen, um am rechten Fleck in der Gesellschaft anzukommen? Oder kann dieser rechte Fleck nur dann erreicht werden, wenn sie sein dürfen, wer sie im Innersten sind? Diese Gedanken sind unglaubliche einhundert Jahre alt und könnten – und sollten – genauso gut heute laut gedacht werden.
Stücke von Herman Bahr / Bearbeitung Nikolaus Büchel
Inszenierung Lisa Wildmann
www.festspiele-schloss-tillysburg.at
Datum: 06. Juli 2021 / Text: Ortrun Schandl / Fotos: Bühne in Schloss Tillysburg - Ortrun Schandl; Szenenfotos - Barbara Pàlffy
Zum Inhalt: Dr. Friedrich Esch feiert seinen 50. Geburtstag. Zeit, über sein bisheriges Leben und Wirken zu philosophieren. Die kontemplative Erhabenheit der Familie wird aber durch den Besuch von Onkel Kreger, Gertrude Eschs Onkel, gestört. Er macht kein Hehl daraus, wie abwegig ihm die idealistischen Grundsätze Friedrichs vorkommen und verteufelt die asketische Lebensweise der Familie Esch. Mit Leidenschaft sucht er das für ihn Ur-Menschliche: Das Scheitern, die Schwächen, die Abgründe. Es wäre aber nicht das geistreiche und tiefgehende Stück, das es ist, wenn man es dabei beließe. Denn da ist viel mehr auf beiden Seiten. Der von Gregor Seeberg gespielte Onkel Kreger ist mehr als nur der Krampus. Und der charismatische, gütige und anfänglich über jeden Selbstzweifel erhabene Friedrich Esch (Bernhard Majcen) gerät im Laufe des Stückes selbst an die Grenzen seiner eigenen Glaubensgrundsätze. Das ist nicht zuletzt den großartig herausgearbeiteten Nebenrollen geschuldet: der pragmatischen Ehefrau Gertrude, der bauernschlauen und lebensfrohen Köchin Leni Kuk, dem Sohn Hans, der sich mit allergrößter Freude vom Sturm der jugendlichen Gefühle wegreißen lässt, …